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G-20-Gipfel: Zu den Vorfällen anlässlich der Welcome-to-Hell-Demo am 06.07.17

Zu den Vorfällen anlässlich der Welcome-to-Hell-Demo am 06.07.2017

Wer gestern Nachmittag zum Fischmarkt lief, um an der G-20 Welcome-to-Hell-Demo teilzunehmen, bemerkte auf den ersten Blick zweierlei: Zum einen eine gegen 17 Uhr etwa 5-6tausend Menschen große Ansammlung, die mehr oder weniger guter Stimmung waren, ohne den Ausdruck von Verhärmung, Verhärtung oder ohnmächtiger Wut. Zum anderen sah man sofort, dass zum Ausgang des Fischmarktes in Richtung Elbstraße zwei Wasserwerfer standen, ein gepanzertes Räumfahrzeugt, drum herum die entsprechende Besatzung und in den Nebenstraße eine Einheit, die sie ggf. absichern sollte. Die Absicht war offenkundig: den Demonstranten den Weg nach hinter abzuschneiden und nur jenen Ausweg zuzulassen, der als Demoroute angemeldet war, der zu Anfang der Hafenstrasse durch eine Gasse aus Häuserwänden und Küstenschutzwänden führte. Allen war klar, dass es offenkundige Absicht der Polizei war, die Demo bis dorthin vorzulassen und dann unter einem Vorwand aufzustoppen und zu beenden.

Als die Demo sich zum losgehen formierte, maskierte sich der sogenannte »Schwarze Block« mit seiner üblichen Kleidung. Manchmal war man erstaunt über die jungen, fast kindlichen Gesichter dort. Als Ausdruck einer möglichen selbstironischen Darstellung bliesen TeilnehmerInnen dieses Blocks zu Anfang der Demo ein riesiges schwarzes Plastikungetüm auf, eben einen »schwarzen Block« aus Plastik, den sie vor sich her rollen wollten. Andere hatten kleinere Blocks aus Plastik, die beim draufschlagen irgendwohin wegflutschten. Aber die Ironie kommt in einer militarisierten Gegenwelt nicht.

Was ist passiert?
Eigentlich genau das, was vorab zu erkennen war. Nach 300 Metern war der »Schwarze Block« in der Falle und wurde unter dem voraussehbaren Vorwand des »Vermummungsverbotes« von vermummten Blöcken des Systems an einem weiteren Voranschreiten auf der zuvor ohne jede Auflage genehmigten Demo-Route gehindert. Der Rest ist schnell erzählt. Während der »Schwarze Block« in der Falle stand, dabei seine üblichen Parolen skandierte, baute das Imperium seine gespenstischen wie futuristischen Maschinen und ebenso seine seriell gesteuerten Truppen zum Losschlagen systematisch auf. Auf der Häuserseite der Hafenstraße schob sich ein Block der inneren militarisierten Staatsmacht nach dem anderen am Demozug vorbei nach vorne, so dass der »Schwarze Block« von vorne, von einer Flanke aus und in Unterbrechung zum Rest der Demonstrationsteilnehmer angegriffen werden konnte. Die Polizei hatte kein Interesse an einer Deeskalation. Offenkundiger als wie hier konnte man das kaum zeigen. Der »Schwarze Block«, die Fiktion der Polizei und der Teilnehmer von sich selbst, sollte niedergeschlagen werden. So kam es dann auch. Von vorne zuerst mit Polizeieinheiten, dann mit Wasserwerfern und Reizgas angegriffen, drangen die an der Seite nun in Stellung gebrachten Einheiten mit voller Gewalt in den Block ein. Sie schlugen den einzelnen Teilnehmern die Füße weg und hieben auf sie ein. Sie hatten offenkundig kein Interesse daran, irgendjemand gefangen zu nehmen, auch nicht daran, die Teilnehmer des »Schwarzen Blocks« in die Flucht zu jagen. Im Gegenteil: Wo Passanten oder Demoteilnehmer (man konnte sie nicht immer unterscheiden) den Eingeschlossenen helfen wollten, die Flutschutzmauern zu erklimmen, um darüber aus dieser heillosen Lage heraus zu flüchten, wurden auch diese zuerst mit Reizgas, dann mit Wasserwerferstrahl bekämpft. Absicht und tatsächliches Geschehen war, dass der »Schwarze Block« niedergeprügelt wurde. Am Ende, als die Polizei das Geschehen beherrschte, lagen zerstörte Brillen, einzelne Schuhe und Kleidungsgegenstände auf der Straße. Man kennt das ansonsten aus Bildern, die bei Kriegs- und Terrorereignissen gemacht wurden.

Was sagt uns das?
Die formale Demokratie hat sich militärisch im Innern so aufgerüstet, dass der Einsatz ihrer Macht gegen Demonstranten hier so ähnlich ist wie der Einsatz eines Boxweltmeisters im Schwergewicht gegen einen Jugendlichen, der ein Boxtraining angefangen hat. Hochtrainierte und hochausgerüstete Einsatzgruppen, zur Gewaltanwendung getrimmt wie andere zur Fließbandarbeit, beherrschen den im öffentlichen Raum realisierten politischen Willen in einem Maße, dass jeder im öffentlichen Raum artikulierte politische Dissens von vorneherein nur den Charakter des Geduldeten und Lächerlichen besitzt. Harmlos, geduldet, unwichtig, auf jeden Fall der Gnade der Macht ausgeliefert, in gewisser Weise ihrer Stimmung. Mit jedem Mal, wo diese Macht im Niederschlagen der Dissidenten agiert, saugt sie weitere Kraft aus deren Niederlagen und Übermächtigt sich weiter. Jene Menschen, die dort - ob mit oder ohne ausgeschlagenen Zähnen, angebrochenen Beinen und anderen Verletzungen - weg kommen, können dies nur als Geschlagene tun. Sie können dort nicht siegen, nicht einmal als Schein, wie es der »Schwarze Block« als Antrieb hatte. Denn sie sind kein militärischer Machtapparat und können es auch nicht sein. Schon der Schein ist dem System zu viel und wird als Realität gesetzt, hier in Umkehrung dessen, was sonst Realität ist: Die Realität der Unterordnung im Kapitalismus wird zur Freiheit erklärt, die Konsummonade zum Subjekt. Das System sucht in seiner Machtvermittlung nach Absolutheit, wie alles, was zum Höhepunkt strebt. Aber das kennzeichnet auch seine politische Schwäche und auch den Zerfall seines Politischen. Deshalb sollten wir uns nicht von dieser Gewalt entmutigen lassen. Ebenso wenig sollten wir uns auf dieser Ebene verlieren und selber aufreiben. Jede Gegengewalt zu diesen Verhältnissen ist an erster Stelle eine politische. Die Wut ist richtig, legitim und notwendig, denn das Verdrängen unserer Realität im Kapitalismus und in seinem Machtgehäuse wäre nur selbstdestruktiv. Aber wir brauchen dazu auch die Entwicklung eines Begriffs, der uns hilft, die Welt in ihrer epochalen Umbruchphase zu erkennen. Die Risse sind da in unendlich vielen Köpfen der Welt. Das sieht man auch hier, nicht nur bei den G20-Gegnern. Eine der Parolen heute war: »Kapitalismus - raus aus unseren Köpfen«. Das gilt es voranzutreiben und daraus die gemeinsame Aktion zu bestimmen. Ein Moment davon war enthalten in der »zweiten Demo«, die nach der Zerschlagung der »Welcome-to-Hell-Demo" sich gestern aufder Reeperbahn gebildet hat, wo alle gemeinsam liefen, die Entkommenen aus dem »Schwarzen Block«, vorherige Zuschauer, Alternative und Linke aus diversen Gruppen und sicher auch viele Einzelne, womit das »Raus aus den Köpfen« zugleich auch in die Beine ging.

07.07.2017
Karl-Heinz Dellwo