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Spiegel Online - Veröffentlichung abgelehnt

Dieses Spiegel-Online-Interview war auf Bitten des Spiegel-Redakteurs Lars Langenau anlässlich der Premiere des Films "Stockholm 75" im 3001-Kino in Hamburg zustande gekommen - gegen meinen Einwand, dass Stefan Aust Interviews wie die, die ich nur geben kann, immer aus dem Spiegel kippten würde. Mit dem lauten Dementi, daß der Spiegel keine Zensur kennt, wurde das Interview unter hohem Zeitdruck erstellt. Es war bereits layoutet und sollte am 16. Dezember 2004 veröffentlicht werden. Am 16. Dezember gegen Mittag kam dann die kleinlaute Mitteilung, dass die Chefredaktion das Interview im letzten Moment gekippt habe. 
Es wurde dann dankenswerterweise im Januar 2005 von Magazin KONKRET veröffentlich.

Hier die Lars Langenau und dem Spiegel gegenüber autorisierte Fassung in der Dokumentation des Spiegel-Layouts und als reiner Text.

Textversion:

Interview mit Ex-RAF-Terrorist Dellwo

"Sie haben das Recht, uns zu hassen"

Der schwedische Film 'Stockholm 75' handelt von dem Überfall deutscher Terroristen auf die deutsche Botschaft in Schwedens Hauptstadt. Anlässlich der deutschen Erstaufführung in Hamburg sprach SPIEGEL ONLINE mit dem ehemaligen RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo über die Dokumentation und die Aktion, die in einem Fiasko endete.

SPIEGEL ONLINE: Herr Dellwo, Sie haben sich im Alter von 23 Jahren an dem Überfall auf die Botschaft beteiligt, der vier Menschen das Leben gekostet hat. Waren Sie sich damals klar über die möglichen Folgen der Aktion?

Dellwo: Wir wussten schon, was wir tun. Aber aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass wir damals nicht in der Lage waren, alle Implikationen, sei es im politischen oder persönlichen Bereich, zu überschauen. Wir waren von der eigenen persönlichen Radikalität bestimmt. Wir wollten dem Staat den Tod von Holger Meins zurückzahlen. Seine Leiche wurde uns vor die Füsse geworfen und damit gesagt, ‚ihr könnt soviel protestieren wie ihr wollt, es interessiert uns nicht.’

SPIEGEL ONLINE: Scheint ein deutsches Problem zu sein, und warum mussten dann gerade die Schweden einen Film über eine Aktion deutscher Terroristen drehen?

Dellwo: Auch in Schweden ist das noch immer unaufgearbeitet. Es war ein Einbruch in die schwedische Normalität. Mit solchen Aktionen hatten sie auf ihrem Terrain keinerlei Erfahrungen - weder was die Art noch die Härte der Aktion betrifft.

SPIEGEL ONLINE: Warum hat sich die RAF gerade Schweden ausgesucht? Hoffte man in einem liberalen Land eher auf Verständnis?

Dellwo: Das war sicher eine Hoffnung, aber eigentlich kann ich eher technisch antworten. Wir haben uns ja auch die Botschaften in Österreich und Holland angeschaut. Wir hatten auch gehofft, dass es nach dem Tod von Holger Meins eine andere Reaktion auf uns in der schwedischen Sozialdemokratie gibt, jedenfalls etwas anderes als das, was in der eisenfressenden Rede* von Helmut Schmidt als sozialdemokratische Linie in der BRD ausgedrückt war.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben damals 26 Gefangene freipressen wollen. Auch wurde erst kurz zuvor der Berliner CDU-Chef Peter Lorenz entführt und im Gegenzug Gefangene freigelassen. Waren ihre Forderungen nicht unrealistisch und damit der Überfall von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Dellwo: Heute bin ich davon überzeugt, dass die Aktion auch gescheitert wäre, wenn wir nur drei Personen hätten freipressen wollen. Mit der RAF stand die Machtfrage und damit die Staatsräson gleich zur Debatte. Es ist ein Mythos, dass uns die Lorenz-Entführung durch die 'Bewegung 2. Juni', bestärkt hätte. Wir empfanden sie als ärgerlich und falsch, da sie die Machtfrage im Staat nicht wirklich stellte und unsere Bedingungen verschlechterte. Denn da einmal nachgegeben wurde, konnten wir uns ausrechnen, dass das nicht so einfach weiter geht.

SPIEGEL ONLINE: Zu den Gefangenen, die sie erpressen wollten, gehörte auch Johannes Weinrich, der damals noch zum internationalen Flügel der 'Roten Zellen' gehörte und später die rechte Hand des Auftragsterroristen Carlos wurde. Wie kam der auf diese Liste?

Dellwo: Das war so mit RAF-Gefangenen abgesprochen. Uns war wichtig, wer weitermacht. Bei Weinrich sind wir einfach davon ausgegangen, dass das für ihn auch gilt. Allerdings soll er sich darüber auch beschwert haben, auf dieser Liste gestanden zu haben.

SPIEGEL ONLINE: Gab es für Sie einen konkreten Auslöser so radikal zu werden?

Dellwo: Die ‚eine Sache’ gibt es nicht. Es gibt viele. Der Tod von Benno Ohnesorg, Vietnam, Filme über die amerikanischen Schwarzen und kritische Studenten, die entrechtet und niedergeknüppelt wurden, der Putsch in Chile. Ich habe zu dieser Zeit nur Signale bekommen, dass dies die alte Generation und ein Kriegsimperialismus ist, der auf allem rumtritt, was ihm im Wege steht.

SPIEGEL ONLINE: Warum sind sie nicht Kommunarde geworden?

Dellwo: Das war für mich unmöglich. Ich hatte frühzeitig die Neigung zu einer ernsthaften, radikalen und kompromisslosen Haltung. Fritz Teufel etwa verkörperte für mich immer das Unernste, etwas das nicht wirklich an die Macht herangehen wollte.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich damals als Anarchisten verstanden?

Dellwo: Nein. Ich selbst habe mich erst als undogmatischer Linker definiert und dann als jemand, der irgendwann mal ein richtiger Revolutionär werden wollte – nicht etwa als jemand der schon einer ist.

SPIEGEL ONLINE: In Stockholm wurden von Ihrer Gruppe zwei Menschen ermordet. Die Täter wurden nie identifiziert. Wer waren die Mörder?

Dellwo: Für mich bleibt es dabei, dass ich diejenigen, die die Geiselerschießung durchführten, nicht nennen werde. Wenn wir sagen würden: Der war es, dann würden wir einen Unterschied zwischen uns machen. Doch wenn alle in der Gruppe ehrlich sind, können sie nur sagen: ‚Wenn es der andere nicht getan hätte, hätte ich es getan.’ Im Umgang mit dem Nationalsozialismus war ich früher ein großer Anhänger der Kollektivschuld. Ich habe es immer gehasst, dass in Deutschland ein Unterschied zwischen Schreibtischtätern und den Ausführenden gemacht wird. Sie brauchen bei uns keinen Unterschied machen.

SPIEGEL ONLINE: Wie denken Sie heute über die Tat, darüber, dass sie sich aufgespielt haben als Herrscher über Leben und Tod?

Dellwo: Heute kann ich sagen, dass es weder politisch noch moralisch legitim ist, anderen Menschen jedes Recht abzusprechen und sie nur als Symbole des Staatsapparates zu begreifen. Allerdings finde ich es noch immer richtig, dass wir die Revolte versucht haben und einen Bruch mit der Gesellschaft vollziehen wollten. Aber alles, was danach kam, muss ohne Rücksicht kritisierbar, auch verwerfbar sein.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich je bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt?

Dellwo: Nein. Ich will nicht das nicht auf diese persönliche Ebene stellen. Die Angehörigen haben das Recht als Angehörige zu reagieren und das hat seinen eigenen, undiskutablen Blickwinkel, sie haben also auch das Recht, uns für unsere Taten zu hassen und Strafe zu fordern. Es gibt aber bis heute auch keine Entschuldigung des Staates für den Tod von Holger Meins.

SPIEGEL ONLINE: Die Einheit von Wort und Tat und die Radikalität ihrer damaligen Existenz erinnert an das, was man heute unter islamischen Terrorismus versteht. Sehen Sie Gemeinsamkeiten?

Dellwo: Wir wollten mit den Unterdrückten in der Dritten Welt zusammen um Befreiung kämpfen, nicht den Krieg zwischen Dritter Welt und den Metropolen. Wir wollten egal wo in der Welt andere mit unserem Kampf erreichen, wir hatten den Unterschied zwischen Oben und Unten, zwischen Ausgebeuteten und Kapitalisten im Kopf. Wir wollten, wie vage diese Vorstellung von Sozialismus auch immer war, im Diesseits eine andere Gesellschaft aufbauen – und nicht im irrationalen Jenseits die Erfüllung unserer Wünsche erhalten.

SPIEGEL ONLINE: Als Sie die Bilder vom 11. September gesehen haben, fühlten Sie sich an Ihre Zeit erinnernt?

Dellwo: Nein, gar nicht. Der Unterschied liegt doch auch ganz offensichtlich in der Maß- und Unterschiedslosigkeit dieser Leute, die auch hunderttausend Tote in Kauf genommen hätten und egal wen es trifft. Allein das diskreditiert doch schon alles. Allerdings gab es diese Maßlosigkeit auch bei den amerikanischen Militärs in Vietnam – aber damit kommen wir schon in eine Diskussion über Parallelen, die hier aber niemand wahrhaben will.

SPIEGEL ONLINE: Sie waren damals bereit zu sterben. Und es gibt diesen beliebten Spruch: 'Das Projektil sind wir'.

Dellwo: Dieser Satz meint nicht - vielleicht könnte das heute falsch verstanden werden -, dass wir Bomben waren, die überall und jederzeit blind explodieren konnten. Es ging darum, sich gezielt für einen antiimperialistischen und antikapitalistischen Kampf einzusetzen. Es gibt keinen revolutionären Kampf, wo das Ziel nicht wichtiger ist als das Leben der einzelnen. Wenn man über diese Einstellung nicht verfügt, ist der Kampf bereits korrumpiert. Für mich und viele aus meiner Generation gab es nichts Schrecklicheres als die Vorstellung in diese Gesellschaft integriert und von ihr aufgefressen zu werden. Die RAF wollte Tabula Rasa, sie wollte nichts von der alten Gesellschaft übernehmen und in dem dann geschaffenen Raum alles neu machen. Und dass das nicht klappte ist die historische Niederlage der RAF. Heute weiß ich, dass man Ziele und Mittel nicht trennen kann.

SPIEGEL ONLINE: Besonders erschreckend war die Selektion von jüdischen Passagieren in der 1976 gekaperte Air France-Maschine. Haben Sie eine Erklärung für diese Tat von angeblich Linken?

Dellwo: Das war ein Schock, den ich damals schon als Nazimethode und barbarisch empfand. Es war aber keine RAF-Aktion sondern eine Aktion der RZ und der PFLP. Gudrun Ensslin schrieb damals, dass sie, also die Stammheimer Gefangenen, sich beinahe von dieser Aktion distanziert hätten. Mich hatte das etwas beruhigt. 1977 wurde dann in Absprache mit der RAF die Lufthansa-Maschine ‚Landshut’ entführt mit völlig unbeteiligten Urlaubern. Damit hatte sich die Moral der RAF selbst delegitimiert. Ich selbst wäre nie auf den Gedanken gekommen, ein Flugzeug zu entführen. Wir haben immer einen Unterschied gemacht zwischen denen, die verantwortlich sind für dieses System und anderen, die davon nur beherrscht sind.

SPIEGEL ONLINE: Offiziell haben Sie der Gewalt erst 1992 abgeschworen.

Dellwo: ‚Abschwören’ hat für mich einen anderen Kern. Deswegen widerspreche ich dem. Aber ich habe damals einen Brief im Namen der Gefangenen geschrieben, in dem es hieß: „Keiner von uns kehrt zum bewaffneten Kampf zurück“. Das hatte Andreas Baader inhaltlich auch schon 1977, kurz vor seinem Tod, als Kompromiss angeboten. Das entstand aus der Einsicht, dass wir - ebenso wie der Staat - militärisch aufgerüstet hatten und irgendwie wieder auf eine politische Gesprächsebene kommen mussten, in der eine Vermittlung möglich ist.

SPIEGEL ONLINE: 'Stockholm 75' läuft zum ersten Mal in einem deutschen Kino. Wie weit kommt der Film Ihren Vorstellungen entgegen?

Dellwo: Überhaupt nicht. Es ist nicht ‚mein’ Film. Der Film will erforschen, wie ein 23-Jähriger zu so einer Aktion kam. Das ist legitim, aber nicht meine Herangehensweise. Er ist auch sehr persönlich, was daran liegt, dass sich sonst niemand aus dem ‚Kommando Holger Meins’ dazu äußern wollte. Ich muss nun das Ergebnis aushalten, obwohl es mir schwer fällt, dort im Kontext mit den Geiselerschießungen zu stehen. Der Regisseur hat versucht, für sich eine Antwort zu finden. Und ich verrate nicht zuviel, wenn ich sage, dass er am Schluss unentschieden bleibt.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es andere Filme, die sich der bleiernden Zeit so angenommen haben, dass Sie damit auch etwas anfangen konnten?

Dellwo: Beispielsweise habe ich bei "Black Box BRD" von Andres Veiel die Hoffnung gehabt, dass hier eine junge Generation sich das Material der siebziger Jahre noch mal anschaut und neu bewertet - ohne die Befangenheit der Zeitzeugen. Ich dachte, da entsteht etwas Neues. Aber kürzlich bei einer Diskussion des Hamburger Instituts für Sozialforschung über den 'Mythos RAF' empfand ich das alles dann doch nicht mehr so offen. Da wurde plötzlich versucht, von anderer Seite ein Sprechverbot zu verhängen - und wir wurden als indiskutabel dargestellt.

Das Interview führte Lars Langenau

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* Schmidt im Krisenstab: "Und nach alledem, was die Angehörigen dieser Gruppe Bürgern unseres Landes angetan haben, ist es allerdings nicht angängig, sie, solange sie ihren Prozess erwarten, in einem Erholungsheim unterzubringen. Sie müssen schon die Unbequemlichkeiten eines Gefängnisses auf sich nehmen".