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»Die Idiotie eines politischen Zirkelschlusses«, taz-NORD, 27.10.2013

Karl-Heinz Dellwo über die Linke und Israel
"Die Idiotie eines politischen Zirkelschlusses"

Karl-Heinz Dellwo war früher Terrorist. Heute verlegt er die „Bibliothek des Widerstands“. Ein Gespräch über das RAF-Bündnis mit den Palästinensern und das schwierige Verhältnis vieler Linker zu Israel

Das Interview führte: LENA KAISER, taz Nord
link: http://www.taz.de/!126263/

taz: Herr Dellwo, in welchem Zustand fanden Sie die Linke vor, als Sie 1995 aus der Haft entlassen wurden?

Karl-Heinz Dellwo: Aus meiner Sicht war alles in einem eher trostlosen, klein dimensionierten Zustand. Wir haben vorher immer auf einer Weltebene gedacht, sozusagen „den großen Kampf“ – und dann traf ich auf eher kleine Gruppen. Ich hatte hier und da mal reingeschaut, Gruppen, manchmal fünf oder sechs Leute, und bin schnell auf große Erwartungen gestoßen. Manchmal hatte ich das Gefühl, die tragen dir jetzt die Führung ihrer Kleingruppe an.

Ich wollte aber nicht da ansetzen, wo ich 1973 oder 1974 war. Die gesellschaftliche Situation war eine ganz andere. Die Aufbruchstimmung war weg. Für mich hat es überhaupt nicht gepasst. Ich konnte und kann meine Erfahrungen nicht ignorieren. Wir alle hatten ein Problem: Auch unsere eigene Sache war gescheitert und beendet.

Ging es damals schon um den Konflikt zwischen den Antideutschen und den Antiimps?

Habe ich für Mitte der Neunzigerjahre nicht in Erinnerung. In Erinnerung geblieben ist mir der Konflikt in der Geschlechterfrage, an sich nötig, dann aber auch überzogen darin, dass jede männliche Unsensibilität zur Vergewaltigung hochstilisiert wurde. Das waren für mich so Auseinandersetzungen, wo ich dachte, der alte linke Ansatz ist jetzt ans Ende angekommen, bestimmend wird das Bedürfnis nach einer Erfahrung, die ich als reaktionär bezeichnen würde: Suche nach dem Triumph über andere, also nach einer Psychokrücke. Das Bewegungsfeld war kleiner geworden und nun stritt man sich über das kleine Territorium, das noch übrig war.

Haben Sie sich denn inhaltlich genauer mit dem Konflikt befasst?

Ich habe die Texte der Gruppen gelesen, aber mich hat das nicht angesprochen. Ich habe nichts gefunden, was Raum öffnet – aber viel Knüppelschwingen auf die Anderen. Das ist sowas von sinnlos. Wir waren früher weiter.


In der Auseinandersetzung um die Blockade von Claude Lanzmanns Film „Warum Israel“ durch Antiimperialisten sind Sie dennoch zwischen die Fronten geraten.

Propalästinensische Dogmatiker wollten den Lanzmann-Film verhindern. Das war unerträglich. Ich kann harte Positionen vertreten, ich kann aber mit Fanatismus nichts anfangen. Deshalb habe ich mich positioniert, und dann wurde mir von ihnen ein Seitenwechsel vorgeworfen. Außer Ironie fällt mir dazu nichts mehr ein. Deswegen habe ich damals gesagt: Das sind Positionen aus einem linksradikalen Altenheim, überlebtes Äußerliches aus den 70er-Jahren.
Die haben, indem sie die Filmvorführung verhindert haben, noch mal ihre Identität bekräftigt. Primär ging es da meiner Meinung nach nicht um eine politische Position, sondern darum, wie man fragile Identitäten gegen eine unbegriffene Erosion schützt.

Um den Preis der Zensur …

Ich habe mich im Gefängnis viel mit den 30er-Jahren und dem Stalinismus beschäftigt, der Abwesenheit jeder gesellschaftlichen Emanzipation; eine fehlende, unverzichtbare Realität, die durch Dogmen und Hierarchien ersetzt wurde im Interesse von Führern oder Parteien. Auf Lanzmann bezogen – eine solche Position unterdrücken zu wollen, das darf man nicht mitmachen. Danach habe ich mich näher mit den Positionen der Antideutschen beschäftigt.

Mit welchem Ergebnis?

Dass bei ihnen auch die Stellvertreterrolle vorherrscht. Ich habe damals einem ihrer Vertreter geschrieben, dass in der Stellvertreterrolle von den einen die Israelis, von den anderen die Palästinenser nur benutzt sind. Es sind Kämpfe um ideologische Hegemonien, keine um emanzipatorische Positionen. Ich habe vor der Roten Flora eine Auftaktveranstaltung gefilmt, die dann in eine Demonstration zur B 5 überging. Da standen junge Linke mit Israelfahnen und mir kam das vor wie die Suche nach einer anderen nationalen Identifikation. Auf dieser Demonstration wurden dann idiotische Parolen skandiert: „Wir tragen Gucci, wir tragen Prada, Tod der Intifada“. So ging es zur B 5.

… dem internationalen Zentrum in der Brigittenstraße auf St. Pauli …

Ich stehe da so mit meiner Kamera. Da kommen aus diesem Block der Antideutschen vier oder fünf Jugendliche und rennen mit einer Israelfahne in der Hand auf die B 5-Leute zu und schreien „Israel, Israel, Israel“. Daraufhin geht es wie ein Hundegekläff auf der anderen Seite los: „Palästina, Palästina, Palästina“. Und du denkst, so, jetzt fangen sie an, sich zu kloppen, doch nach einem Überraschungsmoment rennt die Polizei dazwischen. Gott sei dank, großes Lob, muss ich sagen, manchmal auch an die Hamburger Polizei.
Eine antideutsche Talibangruppe gegen die B 5-Talibans, beide vereint in dem Glauben, dass die jeweils anderen das Übel der Welt sind. Ich ging dann zu einem ihrer Sprecher und sagte, naja, das, was ihr hier macht, ist ja auch nur Provokation. Als Antwort bekam ich: mit provozierten Reaktionen zeige man an, was die andere Seite ist. Auch nur die Idiotie eines politischen Zirkelschlusses.

Die RAF war propalästinensisch und antizionistisch. Wie umstritten war diese Position in der Linken damals?

In meinem Umfeld war sie nicht umstritten. Ich glaube, auch bei keiner der anderen linksradikalen Strömungen. Propalästinensisch ist schon richtig, aber was war eigentlich der Hintergrund dieser Identifikation mit den Palästinensern? Wir haben hier in Deutschland gesessen und wollten einen revolutionären Kampf machen und wir wollten mit dem Nationalen rein gar nichts zu tun haben. Die politischen Koordinaten aus 67 und 68 waren bestimmt vom Antiimperialismus, einem international sich vereinigenden Befreiungskampf.
Damals sind die USA als stärkste imperialistische Macht im Westen, Krieg führend gerade in Vietnam und auf Seiten der übelsten Diktatoren in der Welt, der Hauptfeind gewesen, gegen die wollte man eine Front aufbauen. Und da hat man geschaut, mit wem kann man das machen. Man darf einfach nicht vergessen, dass es damals nicht um ein Palästina, sondern um eine sozialistische Welt ohne Grenzen ging. Alle, die da reingepasst haben, waren unsere Verbündeten.

War die RAF antisemitisch?

Erst mal müssen wir definieren: Was ist Antisemitismus? Wenn ich die Zeitschrift konkret über lange Jahre als Maßstab nehme, dann ist jede Kritik an Israel antisemitisch. Dem folge ich nicht. Ich stelle keinem Staat und keiner Regierung irgendeine Generalvollmacht aus. Übrigens auch keiner politischen Gruppe. Antisemitismus ist doch erst mal, dass du dem Juden vorwirfst, dass er Jude ist. Dass du ihm etwas absprichst, ihn kränkst, ihm etwas andichtest, nur aufgrund dessen, dass er Jude ist. Was die RAF betrifft – ich habe den Text von Ulrike Meinhof zum „Schwarzen September“ gelesen …

Über das Attentat 1972 in München, bei dem Palästinenser elf israelische Sportler erschlossen. Meinhof schreibt, Israels Regierung habe die Sportler „verheizt wie die Nazis die Juden“.

Der wird ja heute in bestimmten Kreisen so definiert, als sei Ulrike Meinhof Antisemitin gewesen. Das sind so die fortdauernden Abrechnungsbedürfnisse uns, also der RAF gegenüber. Ich finde in dem Text eine demütige Haltung gegenüber scheinbaren Revolutionären in einem anderen Teil der Welt, bemüht zu zeigen, dass man nicht im Kontext der herrschenden Ideologie agiert. Ich habe zu Anfang meiner Isolationshaft intern mal geschrieben: „Wir sind die neuen Juden.“ Das war falsch und würde ich heute auch nicht wiederholen.
Das Nazi-Reich lag gerade 25 Jahre hinter uns. Das waren so übermächtige Verbrechen, die bekam man nicht in den Griff. Auch Texte von Ulrike Meinhof werden von heute aus gesehen keinen Bestand haben, wie so viele andere. Sie jetzt als Antisemitin zu bezeichnen, das kann man nur machen, wenn man die Person schmähen will.

Wann haben Sie gezweifelt, ob das die richtige Position zu Israel ist?

Das sind ja zwei verschiedene Positionen. Das eine ist die Position zu Israel. Und die andere ist ja, ob man die Palästinenser beziehungsweise einen Teil von ihnen als Befreiungsbewegung definiert, mit der man was gemeinsam macht. Meine Position zu Israel war, dass wir gar keine Nation brauchten. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt, wenn ich im Ausland war und sagen musste, dass ich ein Deutscher bin. Wir wollten aus diesem Deutschen raus und Internationalisten sein.
Der Gedanke, dass es einen Staat Israel geben muss, den man verteidigen muss, hängt bei mir mit den Zeitpunkt zusammen, an dem ich wusste, dass wir es nicht schaffen werden, die Welt zu ändern. Dass wir historisch längst nicht an dem Punkt sind, eine konkrete Zukunft zu haben, in der die Grenzen aufgehoben sind und in der Sozialismus in vielen Gebieten in der Welt eingeführt wird. In dem Moment fängst du natürlich an, dich damit zu beschäftigen, was die Realitäten sind. Da kommst du zu minderen Vorstellungen von dem, was wenigstens ein Stück Befreiung, Gerechtigkeit oder Emanzipation ist.

Wie sieht das Mindere aus?

Heute? Wie kann alles weniger gewalttätig werden. Man muss in Palästina und zwischen Israel und Palästina Strukturen aufbauen, die den Menschen die Perspektive geben, ein sinnvolles Leben aufzubauen. Beide müssen ihre Sicherheiten haben. Ich bin allerdings ziemlich pessimistisch, nicht nur, was diesen Konflikt betrifft. Denn im globalisierten Kapitalismus zerfällt gerade für Millionen Menschen die Zukunftshoffnung. Dass die Israelis und die Palästinenser es alleine hinbekommen, glaube ich nicht. Zu oft und zu lange ist da der Hass und die Feindschaft erneuert worden. So was hält bekanntlich Generationen lang. Eine Lösung, die nicht international abgesichert ist, teilweise auch international finanziert ist, sehe ich nicht.

Für was steht denn der Konflikt in der deutschen Linken dann?

Für mich sind das Ersatzidentitäten, zu denen man greift, weil man nicht weiß oder nicht wissen will, dass man selber keine soziale Perspektive hat für seinen eigenen gesellschaftlichen Widerspruch und das, was eine Befreiung sein könnte. Wir hatten davon mal was in der Hand. In Teilen der Gesellschaft gab es das Gefühl, wir können das alles anders machen – wir haben es wahrscheinlich alle als Sehnsucht, aber nicht mehr als handlungsbefähigenden Begriff. Der Kapitalismus hat sich wie ein Zombie verselbständigt, in dem das Leben unentrinnbar eingekerkert scheint.

 

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Karl-Heinz Dellwo
61, lebt als Herausgeber, Filmemacher und Autor zusammen mit Gabriele Rollnik, ehemals Mitglied der Bewegung 2. Juni, in einem Hamburger Wohnprojekt.
1975 stürmte das Kommando Holger Meins, zu dem Dellwo gehörte, die Botschaft der Bundesrepublik in Stockholm. Bei der Geiselnahme, mit der das Kommando erfolglos Baader, Meinhof, Ensslin und andere Gesinnungsgenossen freipressen wollte, wurden der Militärattaché Andreas von Mirbach und der Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart von den Terroristen erschossen.
1977 wurde Dellwo dafür zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt, kam aber im Jahre 1995 wieder frei.
Neben der "Bibliothek des Widerstands" erscheint im Laika-Verlag unter anderem eine Theorie-Reihe mit Reflexionen über Gewalt von Slavoj Zizek und Bücher mit Arbeiten Moshe Zuckermanns zu Zionismus und Israel.