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Politische Betrachtungen zur Verhaftung von Daniela Klette

Daniela Klette/Netzfoto
Daniela Klette / Netzfoto

Am 27.02.24 wurde Daniela Klette, gesucht seit über 30 Jahren als ehemaliges RAF-Mitglied und wegen verschiedener Geldtransportüberfälle, in Berlin verhaftet. Von der taz - Wochenendreaktion - war ich am 28.2.24 angefragt worden, ob ich dazu einen Artikel schreiben könnte. Das habe ich gemacht. Nach langen Diskussionen auch mit der Redaktionsleitung wurde entschieden, den Artikel nicht zu drucken. Als Begründung wurde eine fehlende Distanzierung angegeben. Ja, das ist Journalismus »im freiesten demokratischen Staat« deutscher Geschichte gelandet: Vor jeder Reflexion, vor jeder politischen Betrachtung oder auch Polemik muss artikuliert oder aus der Sache sich selbst ergeben: Man stimmt grundsätzlich mit dem Staat und seiner kapitalistisch verfassten Gesellschaft überein. Wer das nicht macht - und ich stimme mit dem Kapitalismus grundsätzlich nicht überein - ist ein Feind. Und Feindnachrichten dürfen bekanntlich nicht gesendet und auch nicht gehört werden. Du Junge Welt hat den Artikel veröffentlicht. Er ist unten im Text und hier über den Link zu finden: https://non.copyriot.com/wurzeln-der-gewalt/ und: https://www.jungewelt.de/artikel/470527.staat-und-raf-wurzeln-der-gewalt.html

RAF_Logo_grauNach 30 Jahren Fahndung wird eine der drei noch immer gesuchten (ehemaligen) RAF-Mitglieder verhaftet. Die Geschichtsschreibung, sagen Historiker, verändert sich permanent. In den Schlagzeilen nach der Verhaftung von Daniela Klette erkennt man das nicht. Es bleibt der gleiche Jargon und die gleiche entpolitisierte Rahmung. Auch 54 Jahre nach dem Entstehen der RAF, 31 Jahre nach ihrer letzten Aktion und 26 Jahre nach ihrer Auflösung. Man zählt die einen Toten. Die toten Mitglieder aus den bewaffneten Gruppen, die vielen Toten im Gefängnis, die »Kollateralschäden« der Polizei bei Fahndungsmaßnahmen werden dabei selten benannt. Auch nicht jener Zustand der Nach-Nazi-BRD, in deren Politik, deren Polizei, deren Justiz und in deren Medien neu eingekleidete Nationalsozialisten saßen, oft Massenmörder erster Güte. Von der »Verteidigung« Berlins im Vietnam-Krieg nicht zu sprechen. Skandalisiert werden Überfälle auf Geldtransporter, doch im Verhältnis zum Milliardenraub in Cum-Ex- Geschäften durch Politik und Wirtschaft sind sie von den geraubten Summen her eher eine Bagatelle.
 
Ich würde hier gerne ein anderes Bild aufmachen: War die RAF wirklich die gewalttätigste Gruppe, die aus der 68er-Bewegung herausgetreten ist? Ich habe daran erhebliche Zweifel. Personen wie Joseph Fischer, die in den 70er Jahren die Parole ausgaben »Werft die Knarren weg, nehmt Steine«, haben, kaum waren sie in Machtpositionen gelangt, ihre inhärente Gewaltbereitschaft staatlich ausgelebt, voran im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Serbien. Wer heute, unter vielen, den grünen Munitionsexperten Anton Hofreiter oder Marieluise Beck und ihren Mann hört, den einst der „Vernichtung des Kapitals“ verpflichteten KBW-Funktionär Ralph Fücks, steht entsetzt vor einer maßlosen Gewaltbereitschaft und Kriegshetze, die irgendwann niemand mehr im Griff hat und die zu einer erneuten Zerstörung Europas führen kann. 
 
Ich möchte auf einen weiteren fundamentalen Unterschied hinweisen: Die RAF hat sich gegen das imperiale System des Kapitalismus gestellt. Ein relevanter Teil der Nachkriegs- und Enkelgeneration tritt heute mit aller Gewalt für den Fortbestand genau dieses Kapitalismus ein. Von dessen „wertebasierten Liberalität“ glaubt sie sich moralisch legitimiert, konkurrierende Kapitalismen vom Weltplatz wegzuschlagen, weil die nicht „liberal“, sondern „autoritär“ seien. Als wären sie nicht den gleichen Marktgesetzen unterworfen. Dabei liegt die „Liberalität“ des Westens unterm Strich nur im Zubilligen von kostenlosen Freiheiten, die erlaubt sind, solange eine Prämisse  immer unangetastet bleibt: Die Unterwerfung unter das Prinzip der Verwertung von Mensch und Natur.
 
Wenn ich die Geschichte der RAF und anderer bewaffneter Gruppen anschaue, dann standen sie, wie damals viele, gegen die ökonomisch bestimmte Fortsetzung einer Vergangenheit, die nach 68 niemand mehr hätte fortsetzen dürfen. Ihre barbarisch werdende Zukunft war vorhersehbar. Wäre diese Erkenntnis Ausgangspunkt gesellschaftlichen Handelns geblieben, wären wir heute nicht da, wo wir sind: in einer immer rasender werdenden Destruktion. Die RAF hatte diese Sicht als Ausgangspunkt. Es geht mir dabei nicht darum, die Praxis der RAF zu legitimeren oder gar zu heroisieren. Gescheitert ist gescheitert. Doch zwingt uns die heute unverkennbar gewordene offene Gewalttätigkeit der global herrschenden Verhältnisse, hier eine andere historische Wertung vorzunehmen. Dabei geht es auch um das Maß der Verlogenheit, die heute in allen politischen Bereichen normal geworden ist und ihre Substanz in der erneuerten alten Moral findet, nach der Krieg Frieden ist und die Forderung nach Frieden und einem Ende des Krieges Kapitulation.
 
Es ist für mich deshalb nebensächlich, ob Daniela Klette oder die anderen Gesuchten tatsächlich Geldtransporter überfallen haben. Von irgendetwas mussten sie leben. Der ganze Kapitalismus beruht auf Diebstahl und ungleichem Tausch. Bedeutender ist doch: Diejenigen, die diese Transporter überfallen haben, haben ihre politische Bestimmung dabei nicht verloren. Sie haben ihre Not, sich finanzieren zu müssen, nicht über das Leben der anderen gesetzt und ihre Aktion eher abgebrochen als sie zu eskalieren. Und für etwas anderes ist diesen RAF-Mitgliedern zu danken: Sie haben 1998 die bittere Erkenntnis des Scheiterns akzeptiert und die lange Phase des bewaffneten Kampfes politisch beendet. Nirgends in der Politik und in großen Teilen der Gesellschaft findet sich dagegen die Bereitschaft, die Unvermeidlichkeit einer weltweiten Umbruchsituation zu akzeptieren und danach zu handeln, statt weiter aus der Etappe bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen oder die maßlose Vergeltung in Gaza als »legitim« zu bezeichnen. Wenn es eine Zukunft außerhalb einer umfassenden Zerstörung geben soll, dann müssen wir aus den bestehenden Logiken und überkommenen Rationalitäten aussteigen. Beendet den Krieg. Freiheit für Julian Assange. Für eine politische und damit auf Freiheit ausgerichtete Perspektive für Daniela Klette und die noch gesuchten Burkhard Garweg und Volker Staub.
 
28.02.2024
Karl-Heinz Dellwo