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Wittgensteins Neffe, V+K 11. Nov. 2012

Vers- und Kaderschmiede
BURGHART KLAUßNER, HARRY ROWOHLT: »WITTGESTEINS NEFFE« (von Thomas Bernhard) 11. Nov. 2012

Polittbüro, Steindamm 45, 20 Uhr

Thomas Bernhard und Paul Wittgenstein – das war eine enge Freundschaft; da hatten sich zwei gefunden, um den Zumutungen der Gesellschaft, den Konventionen, den Normalen zu trotzen. Oft waren sie siegreich, triumphierten durch Spott, waren vereint in erhabenem Sarkasmus wider die Kulturbürokraten, die Touristen im Kaffeehaus Sacher, die banausischen Multimillionäre aus Pauls Verwandtschaft, die inkompetenten Ärzte und das verrohte Krankenhauspersonal. Aber natürlich macht sich, wer lustvoll austeilt, auch Feinde, die manchmal übermächtig sind, die mit mehr als nur gleicher Münze zurückzahlen: »Indem wir mit unseren Krankheiten immer rücksichtsloser umgegangen sind, sind wir auch mit der uns umgebenden Welt immer rücksichtsloser umgegangen und wir sind in immer kürzeren Abständen in die uns entsprechenden Anstalten gekommen, in Irrenanstalten der Paul, in Lungenanstalten ich.« Das wurde für Paul immer unerträglicher, nachdem er mit vollen Händen sein reiches Erbe an Freunde, falsche Freunde und Arme verschenkt hatte: »Mit den Ärzten war ich befreundet, solange ich noch Geld gehabt hab', wenn du keins mehr hast, behandeln sie dich wie eine Sau.« Aber bis dahin war, um ein vergleichsweise kostengünstiges Vergnügen zu erwähnen, der Sekt in Strömen geflossen. Bis dahin hatte Paul, aus seiner Loge im Opernhaus, Erfolge und Desaster großer Aufführungen manipuliert. Hatten die Freunde ihre Musikbegeisterung geteilt, waren sie hunderte von Kilometern auf der Suche nach der »Neuen Zürcher Zeitung« im Auto unterwegs – und haben sogar tapfer gemeinsam ertragen, dass ihre gemeinsame Freundin Irina durch Landleben und »Naturgenuss« (ein spezieller Horror für Thomas Bernhard, den er mit fulminantem Witz beichtet) verblödet ist. (Irina und einige weitere Begegnungen werden von ANNETTE UHLEN gespielt!) Marcel Reich-Ranicki: »Nie hat Bernhard menschenfreundlicher, nie zärtlicher geschrieben.« Mit freundlicher Unterstützung der Hamburger Kulturbehörde.