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Börsenblatt 44-2011

Interview von: Holger Heimann, Quelle: Börsenblatt Nr. 44/2011

Wer sich mit Ihnen zu einem Gespräch verabredet über den Laika Verlag und die dort erscheinende Die Bibliothek des Widerstand, kann gar nicht anders, als Sie nach der eignen Vergangenheit zu fragen.

Es gibt den schönen Satz von Slavoj Žižek: »Jeder ist an das Kreuz seiner Vergangenheit genagelt.« Aber um es gleich zu sagen: Ich bitte mittlerweile vor jedem Gespräch, mir nicht immer wieder die gleiche dumme Frage zu stellen, ob der Verlag die Fortsetzung der RAF mit anderen Mitteln ist.

Nicht jeder wird seine Vergangenheit als ein Kreuz empfinden.

Ich verstehe den Satz so, dass man von seiner Vergangenheit nicht wegkommt. Ich hielte es auch für falsch, das zu versuchen. Aber ich leide nicht unter meiner Vergangenheit.

Wie nah ist Ihnen Ihre RAF-Zeit noch?

Das Vergangene ist noch da, aber als abgeschlossenes Ganzes. Da sehe ich übrigens eine Parallele zu dem, was wir mit dem Verlag und der Bibliothek des Widerstands wollen. Man betrachtet zurückliegende Ereignisse von heute aus anders – ohne das Bedürfnis nach Rechtfertigung oder Verurteilung. So ist es mit der eigenen Geschichte hoffentlich auch, dass man Distanz dazu gewinnt und ihr gegenüber etwas freier wird. Reflexion bedeutet für mich, sich die eigene Geschichte wieder verfügbar zu machen. Wenn man mittendrin ist, gelingt das nicht, dann ist man Teil der Dynamik. Ich teile die These, dass sich alle fünf Jahre der Blick auf die Geschichte verändert. Dass heißt nicht, dass die Geschichte neu geschrieben wird, aber dass ein neuer Blickwinkel hinzukommt.

 

Und dazu soll Die Bibliothek des Widerstands beitragen?

Es geht darum, sich das Vergangene anzuschauen und zu fragen, was davon bewahrenswert ist. Die RAF kann und muss man für sehr vieles kritisieren. Nicht aber für den Gedanken, dass etwas grundsätzlich Neues in die Welt kommen muss. Wenn ich mir die heutige Entwicklung ansehe, fühle ich mich darin bestärkt, an der Revolte festzuhalten,

 

Was heißt das für Sie?

Es heißt, an den Tugenden des Widerstands festzuhalten. Wenn es keine Revolte gibt, führt der Weg in eine Barbarei. Auch eine Revolte kann sich dahin entwickeln. Aber man darf die Dinge nicht dem Selbstlauf überlassen. Genau das geschieht jedoch: Es gibt eine Zerstörung des Sozialen. Menschen werden dumm gemacht und mit Fernsehshows abgelenkt. Millionen werden ausgegrenzt, die haben keine Chance, denen wird das Leben gestohlen. Neben der Bibliothek des Widerstands haben wir eine Theorie-Reihe etabliert. Deren Ziel ist es, Wissen zur Verfügung zu stellen, um Menschen zu befähigen, Subjekte in diesen Verhältnissen zu werden.

 

Wollen Sie einen RAF-Film in die Reihe aufnehmen?

Ja, sicher. Aber das steht für mich nicht an erster Stelle. Wir haben bislang auch kein Filmmaterial dazu.

 

Es gibt schon einige Filme über die RAF ...

So viele sind das nicht. Der vermutlich bekannteste Film – von Eichinger (»Der Baader-Meinhof-Komplex«) – ist ein tristes, weil inhaltlich völlig entleertes Werk. Die RAF erscheint da als eine Gruppe, die vom Himmel gefallen ist. Diejenigen, die sich integriert haben, sind die Klugen. Alle, die an der Revolte, am Widerstand gegen die Alt-Nazis oder die Gewalttätigkeit des Imperialismus festhalten haben, sind die Verrückten, die sinnlos herumballern.

 

In einem Gespräch mit Therapeuten, haben Sie rückblickend gesagt: »Wir waren eh verloren.« Wie meinen Sie das?

Es gibt diesen Beatles-Song »I’m a loser« – das entsprach einem bestimmten Lebensgefühl, von dem ich auch nicht weit weg war. Ich habe nie zu denen gezählt, die sicher waren, daß wir die Revolution machen und den Kampf gewinnen werden. Das Scheitern war wahrscheinlicher. Aber noch schlimmer ist die Niederlage, wenn man nicht wenigstens den Versuch unternimmt, etwas zu ändern.

 

Und diesen Versuch würden Sie immer wieder unternehmen?

Aber anders. Es wäre falsch, etwas zu wiederholen was gescheitert ist. Außerdem bin ich nicht mehr der, der ich mit 20 Jahren war. Hinter die Erfahrung gibt es kein zurück. Die Revolte ist auch das Privileg der Jugend. In meinem Alter kann man diesen Enthusiasmus nicht noch einmal aufbringen. Ich werde auch nie wieder – und das ist vielleicht traurig – die Gewissheit von damals haben, das Richtige zu tun.

 

Es gibt einen Satz von Bertrand Russel: Wer in der Jugend kein Revolutionär ist und im Alter kein Konservativer, der hat weder Herz noch Verstand.

Da gibt es zwei Möglichkeiten, entweder Herr Russel liegt falsch oder ich habe keinen Verstand. Die Entscheidung überlasse ich Ihnen.

 

Sie haben 20 Jahre Ihres Lebens im Gefängnis verloren.

Ich habe hier draußen so viele Menschen getroffen, die ihr Leben vertun. Ich kenne keinen, mit dem ich gerne tauschen würde. Ich bin selbstbewusst aus dem Gefängnis gekommen.

 

War Ihnen die Welt fremd geworden?

Es war lauter und es stank in der Stadt. Einiges war neu für mich: Bankautomaten zum Beispiel. Aber es ist mir nicht schwergefallen, mich zurechtzufinden. Ich bin hochdiszipliniert aus dem Gefängnis gekommen. Das hatte ich mir antrainiert, ich wollte immer gewappnet sein.

 

Ist Ihnen diese Haltung geblieben?

Es hat lange gedauert, davon etwas wegzukommen. Noch Jahre nach meiner Entlassung habe ich manchmal dagesessen und gemerkt, dass ich zu einem unmittelbaren Miteinander gar nicht fähig war, sondern die Dinge immer gleich analysiert habe. Da ist auch heute noch eine Distanz, die wird nicht mehr ganz verschwinden.

 

Sie wollten ursprünglich monatlich einen Band in der Bibliothek des Widerstands veröffentlichen. Warum hat das nicht geklappt?

Das war nicht zu schaffen, zumal wir noch die Edition Theorie, die Reihe Provo und neu die Reihe  laika diskurs begründet haben. Immerhin haben wir seit dem Start im März vergangen Jahres 14 Bände der Bibliothek und 15 in den anderen Reihen heraus gebracht. Aber ich muss auch einräumen, dass wir überhaupt keine Ahnung vom Verlagsgeschäft hatten. Wir dachten, monatlich ein Band in dieser Bibliotheksreihe, das müsste zu schaffen sein. Jetzt überlegen wir, sechs bis acht Bände im Jahr zu veröffentlichen. Diese Reihe ist sehr, sehr aufwendig.

 

Können Sie überhaupt so viele Filme auftreiben?

Die Filme werden uns nicht ausgehen. Wir werden international von Filmschaffenden sehr geschätzt und haben mittlerweile ein gutes Netzwerk. Manche Streifen würden ohne uns vielleicht gar nicht mehr existieren, denn die Restaurierung ist aufwendig, dafür fehlt den meisten Cinematheken das Geld. Ob es schließlich 100 Bände werden oder 155 oder nur 75 – das wissen wir  - ich mache das ja mit meinem Kollegen Willi Baer zusammen -  nicht.

 

Warum heißt der Verlag Laika, nach dem Hund, der mit einer Rakete ins All geschossen wurde?

Alle Namen, die wir uns ursprünglich überlegt hatten, waren schon vergeben. Eine Freundin von den Roten Brigaden in Italien schlug dann Laika vor und erzählte, was es mit dem Hund auf sich hatte. Wir fanden das witzig, es schien uns zur Geschichte der Linken zu passen: Man ist mit großer Energie und großen Erwartungen gestartet, aber nicht angekommen.