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Das Projektil sind wir - Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen. Nautilus-Verlag Oktober 2007

Karl-Heinz Dellwo, Das Projektil sind wir – Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen 224 Seiten, Originalveröffentlichung, Edition Nautilus, Hamburg Oktober 2007 Im Gespräch mit den Journalisten Christoph Twickel und Tina Petersen erzählt Karl-Heinz Dellwo über die RAF jenseits von Verdammung und Verklärung.

Dabei stellt er sich der ernüchternden Erkenntnis, dass »wir immer Gruppe blieben und nie Bewegung wurden« (Dellwo). Doch er verschweigt auch nicht, dass viele von der Revolution träumten, für die die RAF zu den Waffen griff. Dellwo erzählt die Stationen seines Lebens: Der Sprung des Jugendlichen aus der Lehre in die Hausbesetzerszene, der erste Gefängnisaufenthalt. Danach der Weg ins »Kollektiv RAF«. Der unumkehrbare Schritt in die Illegalität. Nach dem blutig gescheiterten Versuch, die gefangenen RAF-Genossen durch die Besetzung der Deutschen Botschaft in Stockholm freizupressen (bei dem zwei Botschaftsangestellte und zwei Besetzer getötet werden), wird er verhaftet und zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt. Nach zwanzig Jahren kommt er 1995 frei. »Ich befand mich im Krieg - gegen die BRD«, sagt Dellwo.


Im Gefängnis hieß das: Isolation, Geräuschlosigkeit, Verweigerung jedes Gesprächs mit Vertretern der Anstalt, Hungerstreiks. Während der „Offensive 1977“ ist Dellwo einer der 72 Gefangenen, die vollständig von der Außenwelt abgeschlossen in einer Kontaktsperre gehalten werden. Am Ende der Kontaktsperre sind die überlebenden Gründer der RAF, die in Stammheim inhaftiert waren, tot. Für Dellwo ist das heute ein „Selbstmord unter staatlicher Aufsicht“, bei dem die Frage zwischen Mord und Selbstmord sich verwischt. Ein halbes Jahr später entführen die Roten Brigaden in Italien Aldo Moro. Auch dieser Machtkampf mit dem Staat scheitert. Dellwo sieht hier parallele Entwicklungen: Im Unterschied zur RAF waren die Roten Brigaden in Teilen der Arbeiterschaft verankert. Trotzdem entwickelte sich ihr Kampf am Ende in eine ähnliche Richtung wie der der RAF: Der Staat als Zentrum des Systems und die bewaffnete Gruppe als Repräsentanz für die Klasse, die selber die Aufforderung zum Krieg gegen das System nicht annimmt.

In seinen Erklärungen steht Dellwo für eine nicht-opportunistische Kritik am bewaffneten Kampf jenseits Schweigens und der politischen Denunziation.


DAS PROJEKTIL SIND WIR
Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen
Gespräche mit Tina Petersen und Christoph Twickel

Deutsche Erstausgabe
Broschur, 224 Seiten,
€ (D) 14,90 / sFr 26,-

ISBN 978-3-89401-556-5

Buchbesprechungen:
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=11509
von Hans-Georg Lützenkirchen

http://waltpolitik.powerbone.de/kv/kv_aufbr.htm
von Walter Kuhl

http://www.literaturnetz.com/content/view/9806/44/
Hans-Peter Roentgen

http://mitglied.lycos.de/Revista/rev37/r37t14.htm
Revista, Celle

http://de.groups.yahoo.com/group/contraste-list/message/9637
Gottfried Oy

http://www.akweb.de/ak_s/ak522/11.htm
analyse & kritik nr. 522

http://www.ca-ira.net/verlag/rezensionen/bruhn.gerber-rote.armee.fiktion_rez-ricotte.html
Rico Ricotte

http://www.strapazin.ch/magazin/heft90/txt_dgw.html
Wolfgang Bortlik

http://www.sozialprojekte.de/info/alckuennt-x
Bernd Zipper

http://www.intro.de/magazin/buecher/23045654/karl-heinz_dellwodas_projektil_sind_wir
Wolfgang Frömberg

http://www.cellesche-zeitung.de/lokales/celle/345103.html
Cellesche Zeitung 16.11.2007

http://www.bundestag.de/dasparlament/2008/20/PolitischesBuch/20461631.html
Das Parlament, Nr. 20 / 13.05.2008

http://de.indymedia.org/2008/01/205629.shtml
Peter Novak: Keine Beweise für die Selbstmordthese

 

Anmerkung zur Buchkritik von Peter Novak

Zitat Novak:
"Wenn Dellwo so überzeugt von seiner Selbstmordthese ist, dass er keine Zweifel zulässt, dann müsste er alle die Argumente widerlegen können. Dabei geht er gar nicht darauf ein. Nur ein Beispiel. Dellwo stützt sich u.a. auf die Aussagen der Kronzeugen Volker Speitel und seines Bruders Hanns-Joachim Dellwo, die die Waffen in die Zellen geschmuggelt haben wollen."

Ich weiß nicht, wo Novak das her hat. Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt in der Frage, dass die Waffen in Stammheim waren, auf den Kronzeugen Volker Speitel oder die Aussagen meines Bruders Hans-Joachim Dellwo bezogen. Richtig ist, dass ich mit dem RAF-Mitglied gesprochen, welches die Waffen, die in Stammheim gefunden worden sind, selber besorgt hat. Dieses RAF-Mitglied ist kein Kronzeuge, war zu mehrfach lebenslang verurteilt worden und hat 1998 mit Irmgard Möller selber über das Besorgen der Waffen durch die Illegalen für die Stammheimer Gefangenen gesprochen. Novak mag ja glauben an was er will, aber der Versuch, über das Andichten von Kronzeugenquellen eine Position moralisch fragwürdig zu machen, entlarvt ihn leider auch nur als Glaubenskämpfer, der Tabus neu festigen möchte.

Ich würde einfach mal empfehlen, dass man über die Reduktion nachdenkt, die die Radikalität einer Staatskritik an der Frage Mord oder Selbstmord festmacht.  Hier wird doch nur mit verbalen Aktionismus die eigene politische Beschränktheit überspielt.
Karl-Heinz Dellwo

 

Pressestimmen:

»Dellwo gelingt es so, fokussiert auf zentrae Fragen zu seinem persönlichen Werdegang wie dem der RAF einzugehen. (...) Dellwo gelingt es im Unterschied zu den professionellen Zeitzeugen, rationale Begründungen wie emotionale Motivation des Widerstands einzufangen.«
Gottfried Oy, Süddeutsche Zeitung, 29. Januar 2008

»Nur wenige Menschen dürfen ihre Geschichte so reflektiert haben, wie Karl-Heinz Dellwo.«
»Unsere Redaktion hat das Buch mit Gewinn gelesen.«
»Wer heute, nach 32 Jahren, wissen will, wie Menschen wie der damals erst 23-jährige Dellwo zum ›Bewaffneten Kampf‹ kamen, woher sie stammen und welche Sicht sie heute auf das haben, was sie als politische Arbeit verstanden, sollte zum Band ›Das Projektil sind wir‹ greifen, das in diesen Tagen bei der verdienstvollen in diesem Themenspektrum tätigen Edition Nautilus erscheint.«
Wolfgang Gast, taz mag, 13./14. Oktober 2007

»Dellwos Lebensgeschichte ist eine notwendige Ergänzung. Sie zeigt, wie schon die vielen anderen Lebensberichte ehemaliger ›Kämpfer‹, dass es den revolutionären Tätertyp, der zur Waffe greift, nicht gibt.«
Peter O. Chotjewitz, Konkret, Heft Nr. 11, November 2007


„Ist es angemessen, die historische Bedeutung der RAF, wie unlängst im Musikmagazin Spex geschehen, auf Ulrike Meinhofs angebliche Vorliebe für Kuschelrock von Procol Harum zu reduzieren, während Andreas Baader immerhin „Country Live“ von Roxy Music hörte? Karl-Heinz Dellwo, als Mitglied eines RAF-Kommandos 1975 an der Besetzung der Deutschen Botschaft in Stockholm beteiligt, hat zusammen mit Tina Petersen und Christoph Twickel in langen Gesprächen seine Geschichte, und die einer ganzen Generation aufgearbeitet. Die Kindheit verbringt Dellwo in der Eifel, um schließlich in einer Schraubenfabrik in Freudenstadt zu landen, als Lehrling zum Industriekaufmann. Man erfährt, dass es 1968 auch in Freudenstadt eine Schülerdemo gegen die Bildungspolitik und den Vietnamkrieg gegeben hat. Auch gab es dort, wie in fast allen Provinzstädtchen, für Jugendliche einen Treffpunkt am Marktplatz, „Affengalerie“ genannt. Die Probleme als jugendlicher Langhaariger der ´60er und ´70er Jahre, er bekommt sie unmittelbar zu spüren und setzt sich zur Wehr. Karl-Heinz hält sich mit kleineren Diebstählen und Einbrüchen über Wasser, wird schließlich aus seiner ersten eigenen Wohnung geworfen, weshalb er dem Vermieter, dem Eigentümer eines Möbelhauses, die Schaufensterscheiben entglast. Einer seiner Freunde in Freudenstadt ist kein anderer als das spätere ebenfalls RAF-Mitglied Stefan Wisniewski, dem er kurz darauf nach Hamburg folgt. Beide fahren erst mal zur See, typisch für damals jugendliche „Provinzler“. Danach Abendschule und erste Kontakte zur SDAJ, in seinen Augen ein „Pfadfinderverein auf höherem Niveau“. Aber auch Verbindungen zur Schwarzen Hilfe werden hergestellt, für Dellwo haben die Abgrenzungen damals noch nicht so funktioniert. Und: Ebenso erstaunlich für ein ehemaliges RAF-Mitglied, als Lektüre, die für ihn am stärksten in Erinnerung ist, nennt er den deutschen Anarchisten Augustin Souchys Nacht über Spanien, aber auch Do it von Jerry Rubin und Der alltägliche Faschismus von Reinhard Lettau. Über seine Arbeit in der Roten Hilfe beschäftigt er sich schließlich mit der Politik der RAF. „Die K-Gruppen verschanzten sich hinter dem ´Proletariat´, und das ´Konzept Stadtguerilla´ brach mit diesem Versteckspiel“. Dem Unfug, der von sogen. Antideutschen heute verbreitet wird, dass die ´68er sich um die Nürnberger Prozesse nicht gekümmert hätten (Götz Aly, siehe auch den Verriss des Kollegen fg in stattweb.de), hält er entgegen: „Auch ist inzwischen bekannt, dass Adenauer von Eichmanns Fluchtort wusste und in den USA intervenierte, diesen den Israelis nicht bekannt zu geben. Der Bundeskanzler der Nachkriegszeit deckt die Personifizierung des Judenmords! Wie viele andere war auch ich damals der Auffassung, dass die Palästinenser den Preis für die deutschen Verbrechen zahlten“. 1973 besetzt er zusammen mit anderen späteren RAF-Mitgliedern, Susanne Albrecht, Wolfgang Beer, Stefan Wisniewski, Christa Eckes, Bernd Rössner, Sigrid Sternebeck und anderen die Ekhofstraße, die gesamte Linke ist in dieser Bewegung aktiv, die von BewohnerInnen und MieterInnen des Viertels aktiv unterstützt wird. Aus dieser Zeit stammt wohl auch ein Foto von Karl-Heinz, das es auf die Titelseite der Bild-Zeitung schaffte. Der scheinbare Prototyp der schlechten Metapher des „Politrockers“: Jung, langhaarig, gutaussehend, vermummt und militant! Ein Foto, das eine ganze Generation beeinflußt haben dürfte, ihn aber vermutlich auch in den Knast gebracht hat. Nach der Räumung der Ekhofstraße sitzt Dellwo ein Jahr im Gefängnis wegen Landfriedensbruch, Hausfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Während eines Hofgangs von Werner Hoppe in Handschellen, ein damals relativ bekannter RAF-Gefangener, zerlegt er seine Zelle und wirft Gegenstände in den Hof und ruft: „Schweine“ und „Nehmt die Handschellen ab“! Gleich mehrmals landet er in der „Hamburger Glocke“, eine berüchtigte fensterlose Zelle, in der auf einem Betonsockel Holzbalken angebracht waren mit Vorrichtungen zum Fesseln der Hände und Füße. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet ein Proletarier aus der RAF dem Geschichtsautomatismus der Linken, wie auch der RAF selbst widerspricht. „Na, wenn die Logik der Dinge zur Revolte treibt, dann brauchen wir ja nichts mehr zu machen“, äusserte der undogmatische Linke auf damaligen Plenen. Nach dem Tod von Holger Meins 1974 verschärft sich die Situation zusehens. Schließlich 1975 die Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm, bei welcher der Militärattaché von Mirbach und der Wirtschaftsreferent Hillegaart erschossen werden, Ulrich Wessel stirbt als eine Handgranate zu früh losgeht und Siegfried Hausner wird schwer verletzt durch die Explosion der eigenen Sprengladung. Er starb am 5. Mai im Gefängnis Stuttgart-Stammheim. Dellwo saß die volle Strafe ab (20 Jahre), er wurde nach unzähligen lebensbedrohlichen Hungerstreiks gegen die Haftbedinungen 1995 entlassen. Die Gesprächsführung von Petersen/ Twickel ist vorbildlich und ausgesprochen kenntnissreich.“

Stattzeitung für Südbaden Ausgabe 71, 2008-03
http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=947&lat=1705CS

Burchkritik von Walter Kuhl
URL: http://waltpolitik.powerbone.de/kv/kv_aufbr.htm

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