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"Das Scheitern der RAF und die Weigerung der Reue", Interview Tiroler Tageszeitung

Tiroler Tageszeitung, 23.01.2009
Das Scheitern der RAF und die Weigerung zur Reue

Direkter Link zum Interview: http://tt.com/tt/home/story.csp?cid=2696300&sid=57&fid=21

Der verurteilte ehemalige RAF-Terrorist Karl-Heinz Dellwo - kommende Woche zu Gast in Innsbruck - sprach mit der TT über Reue, Gewalt und ihre Wurzeln.

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Dellwo ist kommende Woche in Tirol.
Bild: Bodo Marks

TT: Sie saßen 20 Jahre als verurteilter Terrorist in Haft, jetzt machen Sie Dokumentarfilme über Themen wie Abu Ghraib. Wollen Sie so Ihre Überzeugungen jetzt auf eine andere Art verbreiten?

Karl-Heinz Dellwo: Ich hoffe, dass in meinen Filmen meine Überzeugung auch zum Tragen kommt, aber das ist jetzt nicht die Fortsetzung der RAF mit anderen Mitteln. Das eine war der Versuch, die revolutionäre Uhr zum Ticken zu bringen. Damit sind wir gescheitert. Das was ich heute mache, ist der Versuch in einer Situation der Niederlage etwas zu machen, zu dem ich stehen kann und das für mich sozial und politisch einen Sinn hat.

TT: Woran ist die RAF letztlich gescheitert?

Dellwo: Wenn Sie es in Kurzform wollen: Die Gruppe ist am Ende sich selbst zum Ziel geworden. Die Ursprungsidee der RAF war, dass sie eine Bewegung initiiert und sich in dieser Bewegung letztlich auflöst. Dadurch, dass diese Bewegung nicht kam, ist die RAF vom Ausdruck einer Bewegung zu deren Stellvertreter geworden. Das hatte eine Militarisierung und eine sehr starke Isolierung der Gruppe zur Folge und es sind schwerwiegende Fehler passiert.

TT: RAF-Terrorist Christian Klar ist im Dezember nach 26 Jahren Haft wieder frei gekommen, ohne Reue gezeigt zu haben. Sie selbst haben das ebenso verweigert und bezeichnen den Ruf nach Reue als „Ruf nach einem unpolitischen Schlussstrich". Was meinen Sie damit?

Dellwo: Der Ruf nach Reue teilt die Gesellschaft auf, in Leute, die Schuld haben, und dem Rest, vor dem sie sich entschuldigen müssen. Das finde ich geradezu lächerlich. Man muss einfach sehen, dass es für uns physisch-psychisch unmöglich war - und ich möchte dieses Zitat von Herbert Marcuse (deutsch-amerik. Soziologe und Philosoph, Anm.) auch explizit so verwenden - uns den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen und uns mit der Vergangenheit Deutschlands - das ist die Konsequenz daraus - zu versöhnen. Wieso kommt man dann heute her und sagt: „Ihr müsst jetzt Reue zeigen." Ich zeige überhaupt keine Reue. Ich bin nicht bereit zu sagen, dass der damalige Aufbruch falsch war. Der Aufbruch at vielleicht im Falschen geendet, aber er war absolut berechtigt und die Legitimität lag auf unserer Seite und nicht auf Seiten der altnazistisch geprägten Mehrheitsgesellschaft.

TT: Sie scheint vor allem die Begrifflichkeit zu stören.

Dellwo: Hinter dieser Reue steckt die Tabuisierung dessen, was in dieser Gesellschaft damals los war. So einfach kann man es denen, die an nichts erinnert werden wollen, auch nicht machen. Für diese Verhältnisse, aus denen der bewaffnete Kampf entstanden ist, haben viele andere Verantwortung. Und die sollen sich erst einmal dazu bekennen, dann können wir vielleicht in einer anderen Art und Weise über die Dinge reden.

TT: Die Opfer erwähnen Sie nicht.

Dellwo: Welche Opfer?

TT: Zum Beispiel zwei Botschaftsangestellte, die 1975 bei einem RAF-Überfall in Stockholm, an dem Sie beteiligt waren, gestorben sind.

Dellwo: Ja, natürlich, das sind auch Opfer. Aber der Vater von Stefan Wisniewski (Ex-RAF-Terrorist, Anm.) ist an den Folgen seiner Zwangsarbeit gestorben. Da würde ich den Sohn auch als Opfer sehen. Wer sind die Täter und wer die Opfer, so einfach kann man sich das nicht machen.

TT: Natürlich muss man auch den Nationalsozialismus aufarbeiten ...

Dellwo: Der Nationalsozialismus wurde überhaupt nicht aufgearbeitet, sondern mit Ausnahme der ersten Garde, die durch die Alliierten verfolgt wurde, saßen diese Menschen wieder an den Schalthebeln der Macht.
Ich bin wirklich niemand, der alles verteidigt, was wir damals gemacht haben. Und ich entziehe auch einer solchen Aktion wie in Stockholm die Legitimation. Dann war da aber auch eine andere Seite da, die die Härten des Kampfes bestimmt hat. Ich definiere den Tod von Holger Meins (Ex-RAF-Terrorist, der im Hungerstreik starb, Anm.) auch heute noch als staatlichen Mord. Ich möchte über Stockholm nicht reden, ohne auch über Holger Meins und viele andere Dinge zu reden, die unser Bild der Realität bestimmt haben.

TT: In Innsbruck werden Sie auch über die damalige Gewalt und 1968 sprechen.

Dellwo: Aus meiner Sicht war die Entstehung des bewaffneten Kampfs in den Metropolen eine plausible Angelegenheit. Die Nachkriegsordnung ist 1968 in Frage gestellt worden. Die Stimmung zum Aufbruch ist auf die herrschenden Strukturen getroffen. Nachdem der Faschismus in Deutschland mit Gewalt niedergeworfen werden musste, lag die Gewalt nicht so fern und Militanz und Befreiung schienen damals auch eine Einheit zu bilden.

Das Gespräch führte Andreas Schwitzer