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Nicht gedrucktes HAZ Interview

Dieses Interview mit der ZiSH, der Jugendredaktion der HAZ ( Hannoversche Allgemeinen Zeitung) wurde vor einer Lesung im Theaterkeller in Göttingen von einem Jugendredakteur am 15.11.2007 gemacht und sollte im Dezember erscheinen. Die Chefredaktion hat es dann doch nicht drucken wollen.

„Die RAF ist kein Modell für die Zukunft“

Zish: Herr Dellwo. Warum ist die RAF 30 Jahre nach der Hochzeit der Bewegung heute immer noch so ein Thema?

Karl-Heinz Dellwo: Die Dinge kommen hoch, weil sie nicht vernünftig verarbeitet worden sind. Es bleibt immer nur an der Oberfläche. Das was heute passiert ist für mich keine wirkliche Beschäftigung mit dem Thema. Die Diskussion ist moralisch geprägt. Es wird nur die Opferperspektive dargestellt. Wobei nur die Opfer der RAF Erwähnung finden.

Zish: Von welchen Opfern sollte man denn sonst sprechen?

KHD: Zum Beispiel von dem britischen Handelsvertreter Ian McLeod, der 1972 durch die geschlossene Schlafzimmertür erschossen wurde, weil man glaubte er sei ein RAF-Mitglied oder von dem 17jährigen Lehrling Richard Eppler, bei den es ähnlich war.

Zish: Warum findet das ihrer Meinung nach keine Erwähnung.

KHD: Weil es die scheinbare Ordnung von Gut und Böse infrage stellt und die Sicht auf die Zeit politisieren würde. Hinzu kommt: Die Leute die heute am kritischsten über uns reden, sind oft die, die sich früher selbst als revolutionäre Linke gesehen haben. Die wollen keine politische Diskussion sonst müssten sie sich ja selbst hinterfragen und ihre Niederlage eingestehen. Deshalb laden sie die gesamte gesellschaftliche Verantwortung der Ideen dieser Zeit auf uns ab.

Zish: Was waren denn die Ideen dieser Zeit aus ihrer Sicht?

KHD: Das war eine Zeit des Aufbruchs. Eine ganze Generation hatte das Gefühl, das alle privaten und gesellschaftlichen Dinge anders gestaltet werden können. Das es etwas anderes gibt als das, was existiert. Das lag nicht nur im politischen Bereich. Es hat schon bei der Musik und den lange Haaren angefangen. Wir wollten die Mechanismen einer Gesellschaft, die noch aus dem Nationalsozialismus kam sozial und kulturell verändern. Die Erfahrung mit dem Vietnam-Krieg hat das Verhältnis politisch radikalisiert. Bei 1,5 Millionen Toten Vietnamesen konnte man nicht einfach zusehen. Man musste was dagegen machen.

Zish: Als diese Ideen 1967/68 entstanden waren sie gerade 15 Jahre. Können sie uns erzählen, wie sie diese Zeit erlebt haben?

KHD: Ich komme aus einem politisierten Elternhaus. Mein Vater hat sich als Links-Liberalen gesehen. In unserer Familie war der Antimilitarismus und Antifaschismus eine klare Konstante. Ich wusste schon mit 13 was die Studenten gemacht haben. Den Tod von Benno Ohnesorg (1967 vom Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen d. Red.) habe ich zum Beispiel klar miterlebt. Das war Thema in der Familie. Auch Vietnam haben wir wahrgenommen. Die ganzen Proteste haben mich angezogen. Ich hab in der Eifel gesessen und gedacht woanders da tobt das Leben. 

Zish: War nicht die zur Elterngeneration differente Moralvorstellung der Auslöser für den Konflikt?

KHD: Es fängt immer mit einer anderen Moralvorstellung an. Wenn man 15 ist hat man keine politische Begrifflichkeiten. Man weiß nur was richtig und was falsche ist. Und das, was die Mehrheit der Gesellschaft richtig fand, wie die Zustimmung zu Vietnamkrieg und die Anpassung an die kapitalistische Verwertungsgesellschaft war für uns falsch. Das haben wir bekämpft.

Zish: Dieser Kampf hieß für sie RAF?

KHD: Die RAF war für mich die Möglichkeit einen klaren Bruch zu machen mit dem, was Kapitalismus bedeutet. Wir wollten etwas unumkehrbares in die Welt setzen. Die RAF war für mich der radikale Trennungsstrich hinter dem wir die Gegenwelt aufbauen wollten.

Zish: Könne sie erzählen, wie sie in die Szene herein gekommen sind?

KHD: 1971 Bin ich nach Hamburg gezogen und habe dort mit Stefan Wisniewski (ebenfalls später bei der RAF) nach einer Organisation gesucht, die zu unserer Überzeugung passt. Die meisten die wir gesehen haben, haben uns zu viel geredet und zu wenig getan. Dann stießen wir auf die undogmatische Linke. In dem Zusammenhang sind wir im Herbst 1972 zur Roten Hilfe gekommen. Die haben hauptsächlich Gefangenarbeit gemacht. In diesem Umfeld ist dann die Idee entstanden ein Haus zu besetzen. 

Zish: Das Ergebnis dieser Hausbesetzung war ihre Verhaftung. Was hat das Jahr Gefängnis in ihnen ausgelöst?

KHD: Dieses Jahr war für meine politische Entwicklung sehr wichtig. Ich habe viel Theorie gemacht, viel gelesen. Außerdem war das Jahr geprägt von harten körperlichen Auseinandersetzungen mit einem Gefängnissystem, das eigentlich noch aus der Nazizeit stammte. Wille und Widerstand sollte dort gebrochen werden. Die Schikanen der Wärter haben aber genau das Gegenteil bewirkt. Ich wurde in meiner Auffassung vom post-faschistischen Staat noch bestärkt.

Zish: In der Zwischenzeit, wurden verschiedene Versuche unternommen eine neue Militante RAF-Gruppe aufzubauen. War das auch ihr erster Gedanke in Freiheit?

KHD: Nein, ich habe mich erstmal an den Komitees gegen Isolationshaft beteiligt um mich auf Seiten der politischen  Gefangenen zu stellen. Da dachte ich noch, es gibt eine andere Lösung. Dann ist Holger Meins (1974 bei einem Hungerstreik in der Zelle d. Red.) gestorben. Das war eine sehr hart Erfahrung. Wir spürten die vollkommene Ohmacht unserer bisherigen Mittel gegenüber dem Staat. Unsere gesamte bisherige Arbeit war mit dem Tod von Holger entwertet worden. Für mich war das letztlich der Anlass ich die Illegalität zu gehen.

Zish: War das eine bewusste Entscheidung?

KHD: Ja, wir hatten uns schon Jahrelang mit der Frage wie man kämpfen soll auseinander gesetzt. Wir haben immer gedacht, dass wir noch nicht weit genug wären. Aber als Holger starb, da war klar, wir müssen es jetzt mit dem versuchen was wir haben. Dann sind die Leute nach und nach in die Illegalität gegangen. Ich war der letzte, der damals in die  Illegalität ging.

Zish: Ihr habt euch entschlossen die Stockholmer Botschaft zu besetzen. Was sollte diese Aktion bezwecken?

KHD: Wir wollten die Gefangenen rausholen um mit ihnen einen politischen Diskurs zu führen, wie der politische Kampf weiter gehen soll. Es war noch nicht mal klar, ob die Gruppe danach weiter Militant gekämpft hätte. Klar war nur das der Kampf weiter gehen muss. Außerdem wollten wir die Niederlage von 72 aufheben. Wir dachten es wäre für die gesamte Linke wichtig, einen Impuls zu setzen. Zu zeigen, so geht niemand mit uns um.

Zish: Habt ihr euch als Teil der RAF gesehen?

KHD: Ja, ganz klar.

Zish: Kannten Sie die Gefangenen persönlich?

KHD: Von den Leuten die 72 verhaftet worden sind bis zu deren Verhaftung keinen. Zu den meisten kam man nicht ins Gefängnis rein. Wir hatten nur über Mittelsmänner Kontakt. Hauptsächlich zu Andreas Bader. Persönlich lernte ich nur Margrit Schiller und Werner Hoppe aus Hamburg 1972/73 kennen.

Zish: Ist es ihnen leicht gefallen, Menschen zu erschießen?

KHD: Wer immer was gemacht hat – es kann für niemand einfach oder schuldfrei sein. Diese Radikalisierung hätte es ohne den Tod von Holger Meins so auch nicht gegeben. Heute habe ich einen anderen Blick auf unsere Dinge. Wir haben zwei Geiseln erschossen. Das war weder politisch noch moralisch legitim. Wenn man eine befreite Gesellschaft will, kann das was man macht nicht im grundsätzlichen Widerspruch zu dieser angestrebten Gesellschaft stehen. Das Ziel muss in den Aktionen und der Praxis die man vertritt enthalten sein. Das war in Stockholm nicht der Fall.

Zish: Wann haben sie ihre Meinung geändert?

KHD: Fraglich war mir das schon immer. Es war aber auch ein langer Prozeß, bis ich ein anderes Denken zugelassen habe. Begonnen hat es ungefähr 1978 Die 77er Geschichte mit ihren Entgrenzungen (Schleyer- und Flugzeugentführung d. Red.) hat mich unendlich beschäftigt. Das war teils ein großer Schock. Davor hatte die RAF immer gesagt, es gibt ein oben, die für die Verhältnisse verantwortlich sind und ein unten, für das wir kämpfen wollen. Dies war dann aber völlig belanglos geworden. Aus taktischen Gründen hat die RAF einer Flugzeugentführung zugestimmt und damit gezeigt, dass sie in einer Krise die politische Spannung nicht halten konnte. Dadurch haben wir uns selbst delegitimiert. Ich habe dann viel Satre und Camus gelesen. Ich wollte wissen, was eigentlich passiert war. Ich habe mich auch noch mal mit Mao Tse-tung beschäftigt. Daraus hat sich meine Überzeugung entwickelt.

Zish: Was der Unterschied zwischen 77 und 72? Auch 72 wurden Menschen umgebracht.

KHD: Analytisch betrachtet hatten die RAF-Aktionen 72 eine Berechtigung. Wenn man die Bilder des Vietnamkriegs gesehen hat, hatte das eine gewisse Plausibilität, dass man in Europa einen bewaffneten Kampf führte. 1975 war der Krieg aber beendet. Damit war das, was wir als Kriegsimperialistisches System gesehen haben zurück gefallen auf einen normalen bürgerlichen Betrieb. Darauf hätte wir eine Antwort finden müssen. Das hatten wir nicht, ebenso wenig wie die anderen Linken. Wir dachten, es kann weiter gehen,  wenn wir dem jedem Staat eine Niederlage beibringen. Das hatte schon die Stockholm Aktion bestimmt. Das griff zu kurz bei der Ursachenfrage, warum die Linke nicht weiter kommt in revolutionären Elan. Das allgemein Gesellschaftliche war damit weg gefallen. In solchen Situationen schiebt sich leicht das Militaristische in den Vordergrund.
Das hat sich dann in den 80er Jahre verschärft fortgesetzt. Dem Ziel der Gefangenbefreiung ist alles untergeordnet worden. Deswegen war 1977 auch eine Flugzeugentführung möglich. In dem Moment wo man alle Kriterien fallen lässt und nichts mehr hat was man verallgemeinern kann, was einen Gesellschaftliche Bezug hat, werden die Ziele privat, bedeutungslos für andere und dann verliert man.

Zish: Was hätte ihrer Meinung nach anders gemacht werden müssen?

Wir hätten zulassen müssen, dass auch anderes als der bewaffnete Kampf der RAF denkbar ist, vielleicht nach 1972, dass eine Revolution nicht möglich ist. Und wenn das nicht möglich ist, muss man auch seine Mittel anders wählen müssen. 

Zish: Was ist die Lehre aus 1968?

KHD: „Die Lehre“ gibt es nicht. Wichtig ist, dass rechte und reaktionäre Dinge weg sind, wenn eine Gesellschaft sich in Richtung auf Entmachtung von alten Strukturen bewegt, verbunden mit  einer Zukunftshoffnung, die wirkliche Gleichheit herstellt. Die Frage ist ja nicht, was hat die Gesellschaft aus 68 gelernt, sonder wie sind die 68er mit der Gesellschaft umgegangen. Das kann man natürlich nur die Antwort geben, das sich viel angepasst haben und das was sie früher waren, nämlich Bestandteil einer Fundamentalopposition zu sein, Preis gegeben. Ich glaube, wir verpassen damit viel von unseren Lebensmöglichkeiten.

Zish: Sind sie auch angepasst?

KHD: Man kann das so sehen. Ich habe lange, über die Zeit hinaus an eine Revolution geglaubt. Ich weiß, dass es eine geben kann, aber sie ist nicht als konkrets Bild mehr da. Mir ist es egal ob man sagt angepasst, ich würde es aber eher Ratlosigkeit nenne.

Zish: Ist die heutige Jugend unpolitisch?

KHD. So scheint es, aber politisch wird man nur in einer Zeit in der man das Gefühl hat, es wird einem etwas vorenthalten. Das Gefühl muss halt jeder selbst entwickeln. Das hatten die 68er. Aber das kann man nicht als Vorwurf sagen. Das trifft die Erwachsenen genau so. 

Zish: Was ist Unterschied zwischen den 68ern und der heutigen Jugend?

KHD: Heute ist es viel schwerer einen gegenkulturellen Ansatz zu finden, der einem Kraft gibt, das Ganze in Frage zu stellen. Wir hatten es damals leicht bei einer Gesellschaft die so offenkundig rechts war. Heute ist in der Lebensform alles erlaubt. Das ich auch der Verdienst der 68er. Die Homosexualität ist enttabuisiert, alle Stile sind möglich, die Lebensformen sind differenziert. Man kann quasi alles machen, was die kapitalstische Handelsgesellschaft nicht stört. Zu unserer Zeit war auch die Kultur tabuisiert. Da musste man kurze Haare haben und die deutsche Liedkultur mögen. Das durfte nicht hinterfragt werden. Wir haben aber keine Änderung der kapitalistischen Produktionsweise oder der Eigentumsverhältnisse erreicht. Das blieb unsere politische Schwäche. Es muß etwas neues gefunden werden. Es wird nicht die RAF sein. Jede Widerholung ist falsch. Die RAF ist kein Modell für die Zukunft.

Zish: Habe sie ihre Jugend im Gefängnis verloren?

KHD: Ich habe ihm Gefängnis auch etwas verloren. Mir hat mal jemand geschrieben, er hatte das Gefühl hat, dass er die Zeit draußen verschlafen hat und nur unsere Briefe gelesen hat. Das Gefühl habe ich auf meine Geschichte nicht. Wir haben im Gefängnis auch um uns gekämpft. Dieses Widerstandsverhältnis hat mir auch eine ganze Menge gebracht.